Karola Bloch

Denkende Maschinen

Auszug aus einem Gespräch mit Welf Schröter im Dezember 1988
über die Bedeutung moderner Informationstechnik

 

"Ich kann mich erinnern, daß wir uns als Studenten einmal mit dem Bau eines Elektrizitätswerkes auseinandersetzten. Als Architektin mußte ich ja auch wissen wie man ein Elektrizitätswerk entwirft. Mit unserem Professor besuchten wir so ein Werk und standen erschüttert in einer riesigen Halle. Dort wurden die zahllosen Geräte nur von einem Menschen bedient. Schon damals war die Automatisierung so weit fortgeschritten. Von den Maschinen war ich beeindruckt. Es ist unglaublich, was der Mensch schaffen kann. Der menschliche Verstand, seine Intelligenz hatten etwas Außerordentliches geleistet. Das imponiert mir am Menschen, daß er sich etwas ausdenken, daß er sein Denken materialisieren kann. Auf Knopfdruck funktioniert es. Das ist fabelhaft.

Wenn die Technisierung fortschreitet, wird es immer notwendiger werden, für die Menschen Beschäftigung zu finden. Das wirkt sich auf die gesamte Industrie aus und vergrößert das Problem der Arbeitslosigkeit. Es wird mit der Zeit eine ganz andere Ökonomie kommen müssen. Wenn die Menschen eigentlich nicht mehr soviel arbeiten, aber von irgend etwas leben müssen, brauchen sie eine Bezahlung, ein notwendiges Substrat, um existieren zu können.

Unsere Gesellschaft hat sich wahnsinnig verändert und wandelt sich noch. Bis jetzt hat der Einzelne einen Lohn bekommen in der Höhe, die seiner geleisteten Arbeit entsprach. Wenn nun aber die Arbeit wegfällt, muß er dennoch einen Lohn bekommen, um leben zu können. Das ist eine ganz andere Vorstellung, eine andere Ökonomie. Der Begriff der Arbeit als solcher wird sich ändern. Auch die Zukunft der Gewerkschaften wird anders sein, als man sich das heute vorstellt. (...)

Ich denke dabei immer an den Menschen, an den Sinn des Lebens. Da kommen ganz andere Faktoren in die Arbeit hinein. Ich habe den Eindruck, als ob die Menschen - vielleicht unbewußt - eigentlich auch an ihrer Zerstörung arbeiten. Denn der Verlust einer Arbeitsfunktion ist doch gleichzeitig etwas Zerstörerisches. Arbeit spielt doch für die Menschen eine ganz enorme Rolle. Wir können uns ein sinnvolles Leben heute ohne Arbeit nicht vorstellen. (...)

Die Tatsache, daß der Mensch durch eine Maschine ersetzt werden kann, stellt eine ungeheure Reduzierung des Menschen dar. Ernst hätte davor sicher Angst gehabt. Er wäre skeptisch, weil er aus der alten Schule ist und für die Erhaltung des Menschen eintritt. Aber heute sieht es so aus, als ob die alten Erfahrungen, die wir gesammelt haben, nicht mehr sinnvoll seien. Es geht jetzt in eine ganz andere Richtung. Vielleicht befinden wir uns gerade in einem ziemlich bedeutenden Zustand. Die Technik schreitet so rapide voran und bringt immer größere Veränderungen in unserem sozialen und politischen Bewußtsein.

Ich würde mich gar nicht wundern, wenn in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren eine ganz neue Wissenschaft über den Menschen oder - sagen wir - über den Sinn des Lebens entstünde. Die Frage, wozu wir leben, bewegt so viele Menschen. Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Die Gesellschaftswissenschaften, die sozialen Wissenschaften müssen mit diesen technischen Entwicklungen mitrücken, da muß eine Verbindung sein.

Das beschäftigt mich sehr. Ein sozialer Mensch soll möglichst glücklich sein. Ein unglückliches Leben ist ein sinnloses Leben.

Sicher ist es faszinierend zu sehen, daß solche Maschinen bestimmte Denkprozesse ausführen können. Das ist überwältigend. Aber ich weiß nicht, ob es den Menschen beglückt. (...)

Die Menschen wollen Einverständnis mit sich selbst erreichen, mit sich d’accord sein. Ernst Bloch nannte dies am Ende des Prinzips Hoffnung "Heimat". Er meinte damit, daß der Mensch sich in seinem Inneren heimatlich fühlt. Wenn der Mensch soweit ist, in sich eine Heimat zu finden, ist sein Leben sinnvoll. Die Philosophie von Ernst sah darin ihr Hauptanliegen, wie kann der Mensch bei diesem Ziel ankommen.

Ein Mensch ist nicht deshalb erfüllt, weil er keinen speziellen Bedürfnissen wie Wohnen, Sattsein mehr nachkommen muß. Es bleibt dieses innere Leben."

Karola Bloch, Denkende Maschinen

Ein Gespräch mit Welf Schröter, Tübingen, Dezember 1988, in:

Karola Bloch, Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden

(Link www.talheimer.de/books/rpe3.html)

hrsg. von Anne Frommann und Welf Schröter, Band 2, 1989, S. 96.