Michael Pauen

Utopie oder Alptraum?

Ernst Blochs Konzeption einer "humanistischen Technik" und die Konsequenzen des Internet für die Arbeitswelt

 

Das Verhältnis der Philosophen zur Technik und zu neuen Medien war von jeher etwas zwiespältig. Schon der Platonische Sokrates hatte sich emphatisch gegen die - zu seiner Zeit allerdings bereits nicht mehr ganz taufrische - Erfindung der Schrift gewandt. Diese bedrohe die überkommene Kultur und werde zu einer Verbreitung von Scheinwissen führen:

Wer also glaubt, eine Kunst in Buchstaben zu hinterlassen, und wieder, wer sie annimmt, als ob aus Buchstaben etwas Deutliches und Zuverlässiges entstehen werde, der möchte wohl großer Einfalt voll sein.

Vehemente Kritiker der Buchkultur fanden sich auch unter den Aufklärern und Idealisten; gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist es dann vor allem die Presse, die den heiligen Zorn der Denker auf sich zieht.

Ihren Höhepunkt dürfte die Kritik an der Technik und den Medien aber wohl erst im gegenwärtigen Jahrhundert erreicht haben. Dabei sind es nicht nur die reaktionäre Verherrlicher der Vergangenheit, die hier Böses wittern; auch unter ihren Antagonisten auf der linken Seite des politischen Spektrums wurden oft genug allein die negativen Seiten dieser Entwicklung in den Vordergrund gestellt. Symptomatisch ist hier Adornos Bemerkung, der technische Fortschritt bestehe vor allem in der Entwicklung von der Steinschleuder zur Atombombe. Technik, vor allem dort, wo sie Einfluß auf die Medien gewinnt, gilt in erster Linie als ein Instrument der Unterdrückung und Zerstörung, nicht als eines der Emanzipation - obwohl ihr dieses Moment auch in Adornos Augen nicht abzustreiten war.

Blochs Verhältnis zur Technik

Ernst Blochs Verhältnis zur Technik und den aus ihr hervorgehenden Medien war von vornherein wesentlich unkomplizierter. Schon in einer frühen Briefpassage zählt eine in den Dienst des Menschen genommene Technik zu den konstitutiven Momenten von Blochs Utopievorstellung. Dies wird sich auch in der weiteren Geschichte seines Werkes nicht wesentlich ändern; stets ist Technik Bestandteil seiner Konzeption einer anderen, menschengerechten Wirklichkeit. Die Technik spielt dabei nicht nur die Rolle des Objektes, über das verfügt wird, sondern schafft selbst die Mittel und Instrumente zu einer Umgestaltung der bestehenden zu einer besseren Welt.

Blochs konkreten Prognosen und Erwartungen wird man sich allerdings nicht immer anschließen wollen. Dies gilt insbesondere für seine späteren Vorstellungen einer in den Dienst des Sozialismus genommenen Technik. So lastet er der ihrem Untergang entgegenzitternden bürgerlichen Gesellschaft in Amerika eine - völlig unbegründete - Angst vor der Kernenergie an, deren Potential daher durch den Kapitalismus sträflich vernachlässigt werde. Die Sowjetunion dagegen, auch hier an der Speerspitze des Fortschritts, habe die gewaltigen Möglichkeiten erkannt:

Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschinerie als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.

Man sollte nicht vergessen, daß der Autor sich mit seinen überschwenglichen und heute etwas beängstigenden Erwartungen im Einklang mit vielen seiner Zeitgenossen befand. Dennoch zeigen solche Passagen, daß Blochs Stärken wohl kaum in konkreten Prognosen lagen. Im Gegensatz dazu sind seine Grundvorstellung einer dem Menschen gemäßen Technik, aber auch der Maßstab, den er an diese Technik anlegt, auch heute noch ebenso aktuell wie überzeugend: Technik ist an sich weder gut noch schlecht, sie kann zur Unterdrückung und Zerstörung, zu Ausbeutung und Entfremdung in der Massenproduktion führen. Bloch befaßt sich dabei insbesondere mit den Konsequenzen der Arbeitsteilung. Technik kann aber auch im Sinne des Menschen dazu dienen, den Handlungsspielraum zu erweitern und die Arbeit zu erleichtern. Der junge Bloch spricht in diesem Zusammenhang von einer "humanistischen" Technik, die sich an den Interessen Menschen orientiert, statt sich diese Interessen unterzuordnen oder sich selbst durch die Inhaber gesellschaftlicher oder politischer Macht instrumentalisieren zu lassen.

Denn hier, in diesem eratmenden Schritt, in dieser Beschleunigung, Unruhe und Vergrößerung unseres Aktionskreises liegen große seelische und gedankliche Werte bereit.

Neue Informationstechnologien

Der Versuch, Ernst Blochs Philosophie für eine Auseinandersetzung mit den neuen Informationstechniken, insbesondere mit dem Internet und seinen Konsequenzen für die Arbeitswelt nutzbar zu machen, liegt nicht nur deshalb nahe, weil sich Bloch immer wieder mit vergleichbaren Themen befaßt hat: Mit den Auswirkungen der Technik vor allem, aber auch mit den - zu seiner Zeit - "neuen" Medien und Technologien, insbesondere mit dem Kino. Bloch verfällt dabei nicht in eine radikale Kulturkritik, er schlägt sich aber in der Regel auch nicht bedenkenlos auf die Seite des technischen Fortschrittes - über Ausnahmen von dieser Haltung wurde bereits berichtet.

Einige gravierende Probleme bei diesem Versuch sind allerdings unübersehbar. Dies betrifft zum einen die Prognose über den weiteren Verlauf der Entwicklung dieser Technologien sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht, es betrifft aber auch das normative Urteil über die Konsequenzen dieser Entwicklungen.

Dezentralisierung von Arbeit

Trotz dieser und einiger anderer Unwägbarkeiten lassen sich jedoch einige mutmaßliche Konsequenzen dieser Entwicklungen für die Arbeitswelt vor dem Hintergrund der Blochschen Utopiekonzeption beschreiben und beurteilen.

Eine dieser Konsequenzen dürfte in der Dezentralisierung von Arbeit bestehen: Tätigkeiten, bei denen es im wesentlichen um die Übermittlung oder Verarbeitung von Informationen geht, die auf elektronischem Wege transportiert werden können, lassen sich ohne größere Probleme an andere Orte verlagern: So werden heute bereits nächtliche Ansagen auf Flughäfen in einigen tausend Kilometer Entfernung vom Ort des Geschehens gesprochen, weil dort aufgrund der Zeitverschiebung zu normalen Tageszeiten gearbeitet werden kann. Ähnliches gilt für Computerprogramme, deren Entwicklung rund um die Uhr vorangetrieben werden kann, weil sich Entwicklungsteams an verschiedenen Orten der Erde die Arbeit teilen. Chirurgen können bald Operationen in großer Entfernung von ihrem Aufenthaltsort durchführen, schon jetzt können Spezialisten zur Beurteilung von Röntgenaufnahmen oder Untersuchungsberichten hinzugezogen werden, auch wenn sie sich an weit entfernten Orten befinden.

Offenbar eröffnen sich hier also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß die räumlichen und auch die zeitlichen Bedingungen der Arbeit veränderbar werden. In welchem Sinne der dabei entstehende Spielraum genützt wird, ist allerdings weitgehend offen. Bei Spezialisten, deren Fähigkeiten schwer oder vielleicht gar nicht zu ersetzen sind, wird man sich sicher an die Bedürfnisse des einzelnen anpassen. Auf der anderen Seite entsteht hier jedoch für weniger spezialisierte Arbeiten ein globaler Wettbewerb, der keine Rücksicht auf Lebenshaltung und Infrastrukturkosten in den konkurrierenden Ländern nimmt. Es kommt hinzu, daß damit ein Mechanismus ausfällt, der bislang die Machtbalance zwischen Unternehmen und Beschäftigten erleichterte: Durch die Isolation der Beschäftigten voneinander, können diese ihre Interessen nur noch schwer gemeinsam vertreten.

Deutlich wird hier ein weiterer Umstand, der die Prognose erschwert: Indem die neuen Informationstechnologien zu einer Ausweitung des Handlungsspielraumes führen, schaffen sie ein Vakuum, von dem noch nicht klar ist, wie es gefüllt wird: Es ist möglich, daß auf diese Weise nicht nur bewahrenswerte Strukturen zerstört werden, sondern gleichzeitig neue Zwänge und Ungerechtigkeiten entstehen. Denkbar aber auch, daß die neuen Möglichkeiten genutzt werden, um den Interessen des einzelnen gerecht zu werden.

Genau deshalb bietet sich hier ein Rückgriff auf den Blochschen Technikbegriff an, schließlich bestehen derzeit noch Möglichkeiten, die eben erst in Gang gekommene Entwicklung zu beeinflussen. Im Sinne Blochs müßte es darum gehen, die hier sich bietenden Handlungsspielräume im Sinne des einzelnen zu nutzen, also die Technik von den Menschen und nicht die Menschen von der Technik abhängig zu machen. Wichtig dürfte zweitens der Versuch sein, die gefährdete Machtbalance im Verhältnis zwischen Arbeitenden und Unternehmen notfalls durch die Schaffung neuer Strukturen zu sichern.

Zentralisierung des Angebots

Eine weitere Entwicklungstendenz, die sich bereits heute absehen läßt, besteht in der Zentralisierung oder auch Monopolisierung von Märkten. Es ist weder Zufall noch Ausdruck von Hybris, wenn sich ein mittlerweile auch in Deutschland tätiger amerikanischer Internetbuchhändler das Ziel setzt, innerhalb weniger Jahre die Hegemonie zumindest über den amerikanischen Buchmarkt zu erlangen. Für die Annahme, daß dieses Ziel nicht völlig unrealistisch ist, spricht nicht nur die bisherige Entwicklung des betreffenden Unternehmens, sondern ebenso die Tatsache, daß wir es bei Büchern mit einer "Ware" zu tun haben, die sich tatsächlich problemlos auf dem Weg über das Netz verkaufen läßt. Eine Hose mag auf diese Weise schwer anzuprobieren sein, auch die Vorzüge eines Autos lassen sich kaum auf einem Computer erfahren. Im Gegensatz dazu kann man jedoch den Interessenten eines Buches Leseproben, Rezensionen und vielleicht sogar Stellungnahmen des Autors zur Verfügung zu stellen - der genannte amerikanische Buchhändler lädt beispielsweise Autoren zu solchen Stellungnahmen ein. Der Besuch beim Internetbuchhändler könnte daher sogar noch mehr Möglichkeiten der Vorabinformation bieten als der Gang in die örtliche Buchhandlung.

Es läßt sich vermuten, daß diese Entwicklung die obige Tendenz zur Dezentralisierung der Arbeit noch weiter verstärkt, schließlich dürften die meisten Funktionen innerhalb solcher Unternehmen keine physische Präsenz des Arbeitenden an seinem Arbeitsplatz erfordern. Insofern ist zu erwarten, daß die Verbreitung der neuen Informationstechnologien selbst indirekt zu einer Ausweitung von solchen Arbeitsmöglichkeiten sorgen wird, die auch dezentral wahrgenommen werden können.

 

Informationszugang

Der letzte Punkt, auf den ich hier eingehen möchte, betrifft den Kern der Veränderungen, die durch die Entwicklung der Informationstechnologien ausgelöst werden, nämlich den veränderten Zugang zu Informationen. Hierbei handelt es sich um einen Prozeß, der wesentlich breiter, aber gleichzeitig unspezifischer wirkt als die bislang genannten Entwicklungen. Der Prozeß betrifft - selbstverständlich in unterschiedlichem Maße - mehr oder minder alle Tätigkeitsfelder, doch er führt in der Regel nicht zu fundamentalen Veränderungen.

Die Bedeutung des Internet und der anderen neuen Informationstechnologien würde überschätzt, wollte man bestreiten, daß die meisten der dort kursierenden Informationen nicht auch auf eine andere Weise zugänglich wären. Dies gilt im übrigen auch für jene Informationen, die das Internet immer wieder in Verruf bringen: Pornographen und Rechtsradikale mögen sich des Internets mit mehr oder minder großem "Erfolg" bedienen, gegeben hat es die trübe Brühe, in der sie herumwaten, schon lange vor der Erfindung dieses Mediums.

Dennoch ergibt sich zweifellos ein qualitativer Sprung dadurch, daß Informationen der unterschiedlichsten Art hier durch ein einheitliches Medium und auf eine vergleichsweise unkomplizierte Weise verfügbar gemacht werden: Selbstverständlich kann man sich den Text eines internationalen Vertrages auch vom Bundespresseamt schicken lassen, de facto ist aber die Wahrscheinlichkeit, daß man ihn liest, wesentlich höher, wenn es nur des berühmten Mausklicks bedarf, um den Text - nach einigem Warten - auf den eigenen Rechner zu laden.

Wichtiger noch dürfte die Tatsache sein, daß eine Information nur noch schwer wieder auszulöschen ist, sobald sie einmal den Weg in dieses Netz gefunden hat. Schließlich machen die vielfältigen Verflechtungen die Filterung oder gar Zensur von Informationen praktisch unmöglich. Beide Umstände dürften zu einer wichtigen Veränderung in der Machtbalance zwischen politischen Institutionen und der Mehrheit der Bevölkerung führen. Die Kontrolle einer Handvoll von Zeitungen gehört zu den erprobten Grundfähigkeiten eines jeden Diktators, doch vor den Millionen Rechnern des Internet, auf denen sich unliebsame Enthüllungen befinden könnten, versagen auch die Überwachungskünste der durchtriebensten Finsterlinge.

Dieser Mechanismus wirkt auch in umgekehrter Richtung: Die Menge der zur Verfügung stehenden Informationsquellen und die große Zahl der möglichen Alternativen machen auch die aktive Manipulation schwer. Wenn mir eine Information als zweifelhaft erscheint, kann ich den fraglichen Punkt mühelos in einer anderen Quelle recherchieren und eine eventuelle Manipulation gleich auch öffentlich machen, da die aktive Verbreitung von Informationen vergleichsweise einfach und zudem äußerst billig ist.

Zweifellos gibt es auch hier gravierende Nachteile: Zum einen lädt die schiere Masse des Angebots zu sehr oberflächlichem Lesen ein; Artikel, die mehr als eine Seite umfassen, gelten vielfach bereits als "unlesbar". Da hier außerdem die Tendenz, grundsätzlich alle technische Möglichkeiten zu nutzen, weitverbreitet ist, besteht außerdem die Gefahr, daß der Leser durch bunte, möglichst bewegliche Bilder und andere Tricks von der eigentlichen Information abgelenkt wird.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, was die Person Ernst Bloch zu den neuen Informationstechnologien gesagt hätte. Aus der Blochschen Philosophie lassen sich in jedem Falle einige wichtige Kriterien ableiten. Sie eignen sich weniger zu spektakulärer, kulturkritischer Polemik, die auch sonst Blochs Sache nicht war, sondern unterstützen eher ein differenziertes Urteil über die neuen Technologien und ihre Folgen für die Arbeitswelt. Das entscheidende Kriterium ergibt sich dabei aus den Konsequenzen, die diese Technologien für den einzelnen, für seine Interessen, seinen Handlungsspielraum und seine Entfaltungsmöglichkeiten haben - nur dann könnte im Sinne Blochs von einer humanistischen Technik gesprochen werden.

Man mag daran zweifeln, daß es die neuen Informationstechnologien einmal soweit bringen werden; eine an Blochs Philosophie orientierte Kritik könnte zumindest dazu beitragen, daß das Gegenteil verhindert wird.

August 1998

Dr. Michael Pauen, Hanse Wissenschaftskolleg Universität Bremen