Klaus Kufeld

Wandel der Arbeitskultur

Eine Zukunftsskizze aus Blochscher Sicht

 

Die Arbeitsgesellschaft steht im technologischen Zeitalter vor einem revolutionären Strukturwandel. Mehr noch: Es findet ein tiefgreifender "Wandel der Arbeitskultur" statt. Was hat das mit Bloch zu tun? Wir stellen die Gegenfrage: was kann das mit Bloch zu tun haben in dem Sinn, daß wir Bloch "zu Rate ziehen"?

Wenn es um Arbeitskultur geht, handelt es sich um Innovationspolitik,Innovationsstrategien oder besser gesagt, um eine Kultur der Innovation! In der heutigen krisenhaften Zeit, in der das soziale Netz (als die sozialen Errungenschaften der Wohlstandsgesellschaft) durchlässig geworden ist und sogar in einem schleichenden Prozeß zur Disposition ansteht, in dieser heutigen Zeit müssen wir uns fragen, auf welcher philosophischen Grundlage heute überhaupt noch Politik gemacht wird. Spätestens seit Joachim Fests Beschwörung vom Ende der Utopie - das Scheitern des real-existierenden Sozialismus als (willkommener) Anlaß - scheinen alle Zügel losgelassen, die es uns erlaubt haben oder erlaubt hätten, unsere Zukunft orientierungsoffen zu gestalten und Lösungen für die Menschen zu finden.

Die Unternehmensgewinne steigen ins Immense, die Aktien haussieren diametral zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft operiert international oder - zeitgemäß ausgedrückt - global. Die Internationalisierung des Markts verstärkt die "neue Unübersichtlichkeit" (Jürgen Habermas) und führt uns an die "Schwelle zum autoritären Jahrhundert" (Ralf Dahrendorf) oder zum "Verschwinden der Arbeit" (Hermann Glaser).

Warum?

Man hat sich mindestens zweierlei zu fragen, will man das Prinzip Verantwortung gesellschaftlich ernst nehmen:

  1. Wer profitiert eigentlich in welchem vertretbaren Ausmaß zu wessen Lasten? Und:
  2. Wie kann der bloße Reaktivismus in heutigen Wirtschaftsstrategien umgemünzt werden in nachvollziehbares, zielgerichtetes, theoretisch durchschautes Handeln?

Die Zeit scheint überfällig, daß über die Innovationsstrategien in aller Verantwortung - d.h. für alle Beteiligten am sozialen System - nachgedacht wird. Das Ernst-Bloch-Zentrum will ausdrücklich nicht jede sich bietende Gelegenheit ergreifen, um Bloch zu bemühen und ihn "anzuwenden", wenn es um die Zukunftsfragen geht. Nichtsdestoweniger bietet gerade der unorthodoxe Ernst Bloch brauchbare, methodisch exakte sowie von Ideologie freie Hilfsbegriffe, Denkmuster und Praxisbezüge für soziale, technische und kulturelle Entwicklungsprozesse an: ein derartiger analytisch hilfreicher Begriff ist beispielsweise die "Ungleichzeitigkeit", mit dem die Prozesse des Wandels auf verschiedenen Ebenen analysiert werden können.

Natürlich ist darüber hinaus zu fragen, warum unsere Gesellschaft mit all ihren Problemen (oder wegen all ihrer Probleme?) so arm an utopischem Denken geworden ist, auch wenn das Prinzip Hoffnung geradezu inflatorisch bemüht wird oder auch wenn jeder Firmenchef "seine" Visionen und jedes Unternehmen "seine" Philosophie hat? Oder: Welche Rolle muß das utopische Denken einnehmen, wenn utopisches Denken der geschärfte Blick in die Zukunft sein soll und wenn Utopien dann auch konkret zu fassen sind.

Eine Gesellschaft, die das Utopische vernachlässigt, steht zumindest in der Gefahr des blinden Reaktivismus und einer falsch verstandenen Handlungsfreiheit, die den Menschen, das Gemeinwesen, ausklammert. Der grassierende Neoliberalismus ist ein derartig vergewaltigtes Freiheitsverständnis und er muß zurecht hinterfragt werden.

Aber es gibt auch ganz andere Ansätze, die Theoretiker der Globalisierung etwa oder die Verfechter einer Zweiten Moderne, die die Sozialwissenschaft als reine Krisenwissenschaft überschreiten: der Soziologe Ulrich Beck etwa, der dem neuen Individualismus (Kreativität aus der Energie des Ichs), der - hier durchaus im Einklang mit Roman Herzog - sogar die Humboldtschen Bildungsideale aus der Versenkung holt, oder Hermann Glaser, der sich für den Kommunitarismus stark macht.

"Wandel der Arbeitskultur": Kein Sensationsthema. Aber eine Problemstellung, die bei genauerem Hinsehen eine gewisse Dramatik birgt. Wir können die Problematik, die sich um das Thema Arbeit stellt, förmlich greifen, nämlich ex negativo in Form der gefährlich grassierenden Arbeitslosigkeit. Behandeln wir das Thema Arbeit, so berühren wir auch das Gegenteil von Arbeit, nämlich keine Arbeit zu haben. Und was dann?

Wenn es um den Wandel der Arbeitskultur geht, geht es auch um die Qualität von Arbeit und Arbeitsinhalten. Und es geht - im Umkehrschluß - um die Qualität der Freizeitgesellschaft, also der Kultur schlechthin.

Beziehungsweise es stellt sich auch die Frage, wie die Zukunft der Arbeit - global - aussehen muß, daß nämlich

  1. Arbeit geschaffen wird und
  2. Arbeitsplätze menschenwürdig gestaltet werden.

Es geht auch nicht so weiter, daß - nach dem Prinzip der "streched goals" - die Produktivkraft Arbeit vollends ausgepreßt wird.

Das langfristige gesellschaftliche Szenario kann aber auch noch ganz anders aussehen:

Karola Bloch hat schon früh eine grundsätzliche strukturelle Änderung des Arbeitsbegriffs ins Augen gefaßt und vorgedacht. "Denkende Maschinen" als Horroszenario oder als Herausforderung an die Menschlichkeit?

Oder der amerikanische Wirtschaftsjournalist Jeremy Rifkin, der in "The End of Work" die These vertritt, daß im Jahr 2020 nur noch 2 % der Arbeiterschaft in den Fabriken arbeiten wird. Eine Rationalisierungsrevolution werde nur eine Hoffnung freisetzen: den sog. Dritten Sektor, d.h. die Menschen werden sich in nicht-profitorientierten Sozialeinrichtungen engagieren oder zu engagieren haben, in Kunst, Kirche, wohltätigen Verbänden. Dieses Utopium werde durch die Einführung neuer Steuern, z.B. am Fax, am Internet, am Roboter, zu finanzieren sein.

Zurück zum Thema, das in der "Virtuellen Bloch-Akademie" ausgebreitet werden soll: Ist der "Wandel der Arbeitskultur" eine sich abzeichnende globale Revolution? Wie sind die Unternehmen, wie die Gewerkschaften gerüstet, um die sich stellenden Innovationsstrategien zu schaffen? Welche Rolle spielt der Staat? Wird er sich Populismus noch leisten können? Was können wir konkret - für die Menschen - beitragen zum "aufrechten Gang"?

Fragen, die dringender Erörterung und Antworten bedürfen.

 

Ludwigshafen am Rhein, September 1998

Klaus Kufeld, Dipl.-Päd., Leiter des Ernst-Bloch-Zentrums (www.bloch.de) in Ludwigshafen am Rhein